Gang des Erinnerns – Ort der Begegnung

 

Alle Zukunft gründet auf dem Wissen um die Vergangenheit. Deshalb hat die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern von den ersten Planungen für das neue Jüdische Zentrum an auch darüber nachgedacht, in welcher Form an die Vernichtung der Münchner Juden zwischen 1933 und 1945 in dem Komplex erinnert werden soll. Klar ist, dass die Gemeinde mit ihrem Bauprojekt die Gegenwart mitgestaltet und die Zukunft sichert. Klar ist aber auch, dass auch im Neubau am Jakobsplatz eine „emotionale Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft“ geschaffen werden sollte, wie es Georg Soanca-Pollak formuliert. Der 1967 im rumänischen Klausenburg geborene Künstler hat im Auftrag der Gemeinde den Verbindungsgang zwischen der Hauptsynagoge und dem Gemeindehaus gestaltet. Besonders wichtig war ihm bei dieser Arbeit, „dass ich keine bestimmte Erinnerungsform vorschreiben wollte. Ich will vielmehr die Besucher ermutigen, selbst nachzudenken und ihre eigenen Emotionen, die sie beim Betreten des Raumes spüren, zu reflektieren.“

Soanca-Pollaks Installation in dem gut 32 Meter langen und drei Meter breiten Raum besteht aus zwei Teilen, die nur in permanenter Korrespondenz wirken: Auf einer Wand sind 32 Glasplatten montiert. Jede Platte ist 90 Zentimeter breit und 120 Zentimeter hoch. Diese Platten bestehen in sich wiederum aus sechs Glasscheiben. Auf je drei von ihnen hat der Künstler in einem speziellen Siebdruckverfahren die Namen der 4500 von den Nazis ermordeten Münchner Juden angebracht – getrennt werden die Scheiben mit den Namen jeweils von einer Scheibe ohne Aufdruck. So entsteht später die Tiefenwirkung der Installation. Dr. Andreas Heusler vom Münchner Stadtarchiv hat Soanca-Pollak die Namen der Ermordeten zusammengestellt. Der Historiker und der Künstler kannten sich bereits von ihrer gemeinsamen Arbeit bei der Realisierung der Rauminstallation „Bilder der Erinnerung“, die 2005 in München gezeigt wurde, und die das vom Stadtarchiv herausgegebene „Biografische Gedenkbuch der Münchner Juden 1933 – 1945“ als Grundlage hatte.

Die sechs übereinander liegenden Glasscheiben wurden dann bei rund 800 Grad Celsius zur fertigen Glasplatte geschmolzen. Diese schimmert nun bläulich-weiß und zeigt dem Betrachter die Namen, die sich gleichsam aus der Tiefe des Glases in den Raum schieben. Diese Glasplatten, fortlaufend an der Wand montiert, werden von hinten beleuchtet. Die Namenszüge selbst wurden so gedruckt, dass sie das Licht durchlassen können – auch die Namen leuchten also und werde damit – symbolisch – aus der Anonymität befreit. „Ich wollte zumindest die Namen jener Menschen, an die heute keine Gräber erinnern, wieder mit dem Gebäude und damit auch mit der jüdischen Gemeinschaft verbinden“, erläutert Georg Soanca-Pollak.

Das Licht hinter den Glasplatten ist die einzige Lichtquelle im Raum. Sie beleuchtet auch die gegenüberliegende Wand. Dort sind mit Hilfe eines Sandstrahlverfahrens Begriffe in die Wand eingebracht. Die Wirkung dieses Verfahrens auf das Mauerwerk vergleicht der Künstler mit einer „Wunde, die niemals heilt“. Dieses Arbeitsverfahren verweist auf die Vernichtung des europäischen Judentums, die auf immer im kollektiven Gedächtnis des jüdischen Volkes verankert sein wird.

Auf dieser Seite der Wand kann der Betrachter zum einen ausgewählte historische Fakten über die Shoa lesen. Andererseits laden Begriffe, die im Zusammenhang mit Geschichte, Tradition und Glauben stehen, zum Assoziieren ein. „Hier wollte ich die historischen Fakten klar benennen“, sagt Soanca-Pollak, „dem Besucher darüber hinaus jedoch auch Freiräume zum eigenen Gedenken und Erinnern geben.“ Die Worte in der Wand hat der Künstler so gewählt, dass der Besucher am Ende der 32 Meter im Hier und Jetzt ankommt. Dies wird dadurch symbolisiert, das als letzter Begriff das Datum 9. November 2006 zu lesen ist. Jener Tag, an dem die Münchner Hauptsynagoge eröffnet wurde. Denn alle Zukunft gründet auf dem Wissen um die Vergangenheit.

 

Michael Schleicher